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Otto Brenner Preis "Spezial"

dotiert mit 10.000 Euro

Willi Winkler

Die Otto Brenner Preis Jury lobt den freien Autor Willi Winkler mit dem Otto Brenner Preis "Spezial" als einen Gesellschaftskritiker, "der sich von der Diktatur des Aktuellen und Modischen nicht beeindrucken lässt".

Externe Informationen/ Links:

    Mitschnitt der Preisverleihung

    So einen wie Willi Winkler hätte ich gern zum Kollegen. Er säße dann in einem Büro, einem Café in der Nähe und hätte Kenntnisse parat, wenn ich ihm von einem Film erzählte, der nichts taugt oder ihn zum neuen Buch von Keith Richards befrage (immerhin hat er über die Stones und Dylan selbst Bücher geschrieben) oder warum der Sarrazin-Hype so gut funktioniert hat. Er würde inspirieren und mir für ein paar Stunden den Gegenbeweis liefern, dass das Gros der Journalisten zur Oberfläche verdammt ist. Dass wir Bausteine einer industriellen Fertigungsstrasse sind, dass unser Geschäft das Flüchtige ist.

    Sie fallen eben auf, sie fallen ins Gewicht: die Artikel, Kommentare und Analysen des freien Journalisten Willi Winkler. Sie zu lesen ist für mich Pflicht und Kür zugleich, weil solche unverbrauchte Gedanken in schöner Sprachmacht selten geworden sind.

    Im Kosmos des Willi Winkler geht es recht frei zu, da kommen Themen und Figuren zusammen, die kaum miteinander zu tun haben. Oder doch?

    Hosea Dutschke, Katja Ebstein, Dieter Kunzelmann, David Lettermann.
     

    Die Sünden der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Bagdad-Istanbul-Bahn. Axolotl Roadkill.
     

    Das Spektrum ist riesig, und Wissensgier, Bildung und das Glück aufzuklären strahlen aus jedem Text hervor.
     

    Anfang des 20. Jahrhunderts tauchte der Begriff „Renaissance Man“ in der englischen Kulturkritik auf, gemeint war einer, der auf vielen Feldern der Kultur und Wissenschaft sich Expertise erwirbt und zu einer eigenen Philosophie zu verweben versteht. So einer ist Willi Winkler, er schreibt tiefsinniger als ein Generalist, verständlicher als ein Spezialist, eben ein Renaissance Man und schade, dass dieser Qualitätsbegriff so nicht im Deutschen existiert. Und auf eine Renaissance Woman möchte man auch hoffen.
     

    Ob er sich mit dem Zeitgeist der 68er befasst, die RAF analysiert oder für großes Kino wirbt - Winkler nimmt sich journalistische Freiheit mit vollen Händen, und das verführt den Leser und die Leserin. Dabei beweist er ein feines Gefühl für „Oben“ und „Unten“, für Abhängigkeit und Unabhängigkeit.
     

    In einem Gespräch im alpha.Forum des Bayrischen Rundfunks sagt Winkler etwas, das man in Volontärskursen debattieren lassen müsste: „Es gibt keinen Grund, jemandem vors Schienbein zu treten, es sei denn, er ist reich und mächtig“.
     

    Ein Zitat aus dem amerikanischen Journalismus, das er explizit lobt. Das passiert ihm zu wenig, und weiter heisst es: „Der Widerspruchsgeist, das grundsätzlich Nicht-Einverstandensein mit dem, was ist – wäre für mich eine männliche Tugend“. Er ist nicht einverstanden mit dem, was man früher „die herrschenden Verhältnisse“ nannte.  In der Aufmerksamkeits- und Mediengesellschaft haben sich die Journalisten anscheinend „dafür entschlossen, nur noch das Streichquartett zu bilden zu dem, was passierte und zu wenig zu zweifeln...“
     

    Winklers Arbeiten reichen weit über das politische Feuilleton hinaus, er ist feuriger Gesellschaftskritiker, der sich von der Diktatur des Aktuellen und Modischen nicht beeindrucken lässt. Diese Rede würde unglaublich lang werden, wenn ich aus allen Texte, die mir besonders gefielen, zitieren würde. Aber zwei, drei mag ich mir nicht verkneifen, besonders zu loben.
     

    In seinem großen Essay über "Die Freuden der Denunziation" zum Beispiel verknüpft er geistreich den Aufstieg und Fall des Schweizer whistle-blowers Christoph Meili mit anonymen Steuer-CDs, mit dem notwendigen Verrat des Judas und Deserteuren des Vietnamkrieges. Das nenne ich assoziieren! Verrat als sittliche Pflicht - eine ungewöhnliche Fragestellung in einer Zeit des moralischen Relativismus. Und beim Thema Steuerhinterziehung gilt: selten hat es jemand so genau beschrieben, welche spießigen, glanzlosen Mechanismen hinter dem Drang stehen, den Staat und die Mitbürger betuppen zu wollen – weil es jeder so macht.
     

    Lakonisch und böse ist der Artikel über die junge Erfolgsautorin Helene Hegemann, die für das Buch Axolotl Roadkill ja ganze Passagen von einem Blogger abschrieb – die Technik ihrer Generation. Dass Copyrightverletzungen, kruder Textklau einen freien, ewig unterbezahlten Autoren besonders irritieren müssen, ist das Eine. Winkler bringt vor allem den Hype auf den Punkt: „Marketing ist alles, der Markt, so ist er nun mal, giert nach Frischfleisch...“ Und die 17jährige entzaubert er als Traumfräulein für alternde Feuilletonherren, denen der „morbide Vitalismus einer wohlstandserschöpften Jugend“ einen – irgendwie sexuellen - Kick gibt. 
     

    Beim Lesen über die Person Willi Winkler kam mir eine Vorstellung, warum er diesen klaren Blick hat. Die Entwicklung zum Schreiber war nichts Geschenktes und Glattes, Willi Winkler kommt aus einfachen Verhältnissen, ein Kleinhäuslersohn aus einem 153-Seelen-Dorf, dem Bildung die Welt auftat. Vom bayrischen Dorf Sittenbach zu den feinen Etagen im Norden, zur „Zeit“ und zum „Spiegel“. Ohne Bafög hätte er nicht studieren können, ein Günstling der Bildungsreform der 70er wie er schreibt. Daher auch das Unbehagen eines Arbeiterkindes, wenn Studiengebühren diskutiert werden.
     

    Es ehrt Sie, lieber Willi Winkler, wenn Sie in dieser „abgehobenen, abstrakten, akademischen, journalistischen Sphäre“, das sind Ihre Worte, etwas fremdeln, sich als „Hochstapler“ bezeichnen. Die nassforschen Alpha-Journalisten waren immer schon verdächtig, zu interessiert an Privilegien und Prominenz zu sein. Es tummeln sich in dieser Society zu viele Maulwerksburschen, die von der eigenen heissen Luft nach oben getragen werden. Ihre Texte sind anders. Bei Ihnen ist das Gemachte stets wichtiger als der Macher. Es heisst von „Arbeitgeberseite“, dass Sie sagenhaft produktiv seien, ein Vielschreiber, dem die Ideen und Projekte nie ausgingen, der gar nicht genug publizieren kann. Und dass Sie vom Gegenüber volle Präsenz verlangen, ausweichen geht nicht.
     

    Kritischer Journalist, Essayist, Schriftsteller und Übersetzer. Vielleicht ist das nur möglich, weil Sie sich von den Apparatschiks der Redaktionsetagen losgesagt haben und Freiberufler wurden.

    Das Originäre UND das Skeptische prägen alle Arbeiten wie ein Kammerton. Mit dem Spezial-Preis zeichnet die Jury einen unabhängigen, kritischen Kopf aus, wie er dem Journalismus gut tut. Der Sprachkünstler und Widerspruchsgeist Willi Winkler lässt unseren Berufsstand glänzen.

     

    Und wir aus der Jury haben uns schnell und leicht für diesen Winkler entschieden, der sich für seine Arbeit die eigene Zeit, die eigenen Wertmaßstäbe und den eigenen Raum nimmt, und darum ist er ein beneidenswerter Mensch.