3. Preis - Jens Sitarek, Harald Zigan und Timo Büchner
Kritischer Lokaljournalismus – und die Zivilgesellschaft wacht auf
Die drei Lokaljournalisten Timo Büchner, Jens Sitarek und Harald Zigan haben es mit ihren Recherchen geschafft, die extremistischen Umtriebe im Hohenloher Jugendheim ans Licht zu bringen und wurden dafür 2024 mit dem Otto Brenner Preis ausgezeichnet. Doch was haben ihre Veröffentlichungen im Hohenloher Tagblatt in der Region ausgelöst?
Von Cosima Eiwan, Amelie Gensel und Charlotte Theis
„Ich dachte nie, dass ich mit 65 noch um die Demokratie kämpfen muss“, sagt Gerhard Borchers. Er ist Gründungsmitglied vom ‚Kirchberger Bündnis‘, welches sich nach igenen Angaben „gegen die Aktivitäten des Bunds für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V. im Haus des BfG im Kirchberger Weiler Herboldshausen“ wendet. Borchers erinnert sich noch, wie der Bund das Jugendheim in Kirchberg schon in den 1970er-Jahren erwarb, doch jahrzehntelang nicht erkennbar war, was in der Immobilie geschah. „Die waren für sich und hatten keine öffentlich wirksame Ausstrahlung. Hier in Kirchberg hat niemand mitbekommen, was da passiert“, erzählt er. Das ging so lange, bis die Berichterstattung im Hohenloher Tagblatt zeigte, was in dem Jugendheim Hohenlohe wirklich vor sich ging.
Als es dann keinen Zweifel mehr daran gab, welch klandestine Gruppe die Abgeschiedenheit der kleinen Gemeinde im Norden Baden-Württembergs suchte, sahen sich die Einheimischen gezwungen, sich mit den unerwünschten Besucher*innen auseinanderzusetzen. Sie fragten sich, wer genau die Zugezogenen seien und wie mit ihnen umzugehen sei. „Als der Bund für Gotterkenntnis 2021 begann, das Haus zu einem Begegnungszentrum der extremen Rechten zu machen, war ich im Gemeinderat“, berichtet Borchers. Der Mehrheit des Gemeinderats sei klar gewesen, dass sie auf die aufgedeckten rechten Aktivitäten reagieren müssten. Doch konkrete Vorschläge, wie eine Reaktion aussehen könnte, gab es zunächst nicht. Einen Wendepunkt stellte für Borchers ein Gespräch mit dem Journalisten Timo Büchner über die Details von dessen Recherche zum ‚Bund für Gotterkenntnis‘ dar. Es fiel das Wort ‚Zivilgesellschaft‘. In diesem Moment wurde Borchers bewusst, dass die Bürgerinnen und Bürger aktiviert werden sollten. Er betont: „Ohne die Berichterstattung der Journalisten würde es das Kirchberger Bündnis nicht geben.
Gemeinsam mit zwei Gemeinderatskollegen, Max Botsch und Axel Rudolph, wollte Borchers die Zivilgesellschaft zusammenbringen: „Wir haben Vereine und Organisationen in Kirchberg angeschrieben und zum Gründungstreffen des Kirchberger Bündnisses eingeladen.“ In der Gründungserklärung wurde festgehalten, dass sich das Bündnis aktiv gegen den ‚Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V.‘ und rechte Aktivitäten stellt. Auch ein klares Ziel für die Arbeit wurde definiert: „Wir sehen es als unsere wesentliche Aufgabe, die Kirchberger Bevölkerung und die gesamte Öffentlichkeit aktiv und nachhaltig über diese Entwicklung zu informieren.“ Nach der Gründung wuchs die Mitgliedschaft stetig. Am Anfang waren es etwa 16 Vereine und Organisationen, die sich unter diesem Dach zusammenschlossen, dann kamen immer mehr dazu – heute sind es 27. „Es sind fast alle Vereine und zivilgesellschaftlichen Gruppen dabei“, erzählt Borchers. Außerdem ist das Bündnis weiterhin im Gespräch mit lokalen Vereinen, darunter auch politischen Gruppierungen, die dem Bündnis bisher noch nicht beigetreten sind.
Demonstrationen, Informationsveranstaltungen und Mahnwachen
Einmal im Jahr veranstaltet das Bündnis einen Aktionstag. An diesem Tag ziehen die Mitglieder und alle anderen Interessierten durch den Ort. Üblicherweise stoppt der Umzug direkt vor dem Jugendheim, wo Reden gehalten werden, Musik gespielt und eine Mahnwache abgehalten wird. So wollen die Aktiven ein Zeichen setzten – direkt im Angesicht der unerwünschten Rechtsextremen, die die kleine Gemeinde für ihre fragwürdigen Treffen nutzen. Die Einheimischen wollen zeigen, dass sie damit nicht einverstanden sind. Den ersten Aktionstag veranstalteten sie bereits ein paar Monate nach ihrer Gründung am 15. Juli 2023. Damals kamen beinahe 300 Teilnehmende – ein erster Erfolg für das Bündnis. Die Aktionstage sind jedoch nur einer von vielen Bausteinen des Bündnisses zur Einlösung ihres Ziels. Die Bündnispartner*innen veranstalten regelmäßig Informationsabende und veröffentlichten gemeinsam mit dem Journalisten Timo Büchner eine Informationsbroschüre, die über den ‚Bund für Gotterkenntnis‘ aufklären soll. In dieser Broschüre informieren sie über die antisemitischen und rechtsextremen Haltungen der Lehren von Mathilde Ludendorff (1877–1966), zum Beispiel mittels Gespräche mit Expert*innen.
Zudem versucht das Bündnis Präventionsarbeit zu leisten und bietet Schulen in der Umgebung Workshops zur Aufklärung von Schüler*innen an. Einige Schulen nehmen das Angebot an, viele lehnen es allerdings auch ab – obwohl das Thema Rechtsextremismus so aktuell ist wie schon lange nicht mehr. So bleibt es für Borchers und das ‚Kirchberger Bündnis‘ eine Herausforderung, neue Zielgruppen in der Umgebung zu erreichen. Leider müsse man erkennen, dass das ‚Kirchberger Bündnis‘ mit seinen Mitgliedern in der eigenen Blase bleibe. Bei den Veranstaltungen seien es zu circa 70 Prozent die immer gleichen Personen, die teilnähmen. Borchers will deshalb mit dem Bündnis mehr und andere Menschen erreichen. Er betont: „Es braucht eine breitere Akzeptanz und eine breitere Teilnahmebereitschaft an Veranstaltungen.“ Daher wird nicht nachgegeben: Bei der zweiten Mahnwache im Juni 2024 konnte das Bündnis wieder ungefähr 300 Teilnehmende zählen. Es kam die gleiche Anzahl an Demonstrierenden wie im vorherigen Jahr, was Borchers als gutes Zeichen sieht. Das Thema verliere in der Gemeinde nicht an Relevanz.
Viele Einwohner*innen Kirchbergs stehen weiterhin für die Demokratie ein und zeigen den ungewollten Gästen, dass sie bei ihnen nicht willkommen sind. Hinzu kommt, dass das Bündnis in seinem Kampf gegen den Rechtsextremismus in der Region nicht allein ist. Denn auch in Crailsheim, dem Sitz der Redaktion des Hohenloher Tagblatt, gibt es immer wieder entsprechende Kundgebungen und Demonstrationen. Der Verein ‚Ohne Rechtsaußen e. V.‘ veranstaltete bereits im Juni 2022 eine erste Demonstration gegen den ‚Bund für Gotterkenntnis‘, die von Kirchberg nach Herboldshausen zog. Seitdem werden regelmäßig Aktionen veranstaltet, die sich allgemein gegen rechte Tendenzen vor Ort wenden, aber auch gegen die AfD. Schließlich wäre es laut Borchers auch keine Lösung, wenn der ‚Bund für Gotterkenntnis‘ und seine radikalen Anhänger*innen sich einfach ein neues Haus in einem neuen Ort für ihre Treffen suchten. „Wenn die einfach woanders ihren Mist treiben, dann ist auch nichts gewonnen“, findet er.
Der Verfassungsschutz wird aufmerksam
In die Verfassungsschutzberichte des Landes Baden-Württemberg der Jahre 2022 und 2023 wurden nicht nur der ‚Bund für Gotterkenntnis‘ aufgenommen, sondern auch das Jugendheim Hohenlohe. Dabei wurde die Rolle der Immobilie als Treffpunkt der rechtsextremen Szene betont. Das verdeutlicht, dass das Thema nicht nur auf der Kommunalebene, sondern inzwischen auch auf der Landesebene wahrgenommen wird.
Das damalige Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) bekräftigte dies 2023 mit dem Verbot der Vereinigung ‚Die Artgemeinschaft‘ im Jahr 2023. Dieses Verbot könnte auch die mutmaßlich rechtsextremen Besucher*innen in Hohenlohe betreffen. Marcel Emmerich, Mitglied des Deutschen Bundestages, erklärte dazu nach einem Besuch beim ‚Kirchberger Bündnis‘: „Die Antworten aus dem BMI zeigen, dass wir auch den Bund für Gotterkenntnis und seine Anhänger*innen sehr ernst nehmen müssen: Die antisemitischen, geschichtsrevisionistischen und antiparlamentarischen Überzeugungen sowie die ablehnende Haltung zu Menschenrechten zeigen das Gefahrenpotenzial der Gruppe.“
Die drei Lokaljournalisten vom Hohenloher Tagblatt nehmen an, dass ihre Recherche ein Anlass für die genauere Beobachtung des ‚Bunds für Gotterkenntnis‘ durch den Verfassungsschutz war.
Gegenwind: Ein ehemaliger Bürgermeister und seine Presseschelte
Auch der damalige Kirchberger Bürgermeister Stefan Ohr (parteilos) erzählt, dass er erst durch die Berichterstattung im Hohenloher Tagblatt Näheres über die Situation im Jugendheim Hohenlohe erfahren habe. Zuvor hätten ihn lediglich einzelne Bürger*innen darüber auf dem Laufenden gehalten, was in dem Jugendheim vor sich gehe. Am 1. März 2023 veröffentlichte dann das Hohenloher Tageblatt einen Artikel über einen seiner Bekannten. Ein Artikel, der in den Augen des damaligen Bürgermeisters unangemessen war. Darin beschäftigten sich die drei Journalisten mit einem ungenannten Landwirt, der als Hausmeister für das Jugendheim tätig war. Laut Ohr lenkte der Artikel viel negative Aufmerksamkeit auf den Landwirt, obwohl dieser seiner Auffassung nach nichts mit den Machenschaften des ‚Bund für Gotterkenntnis‘ zu tun gehabt habe.
Aber nicht nur diesen Artikel empfand Ohr als unangebracht. Er war auch unzufrieden mit dem schlechten Ruf, den Kirchberg durch die Berichterstattung über die Versammlungen rechtsextremer Gruppen bekomme. Formale Handlungsmöglichkeiten gegen die Rechtsextremen hätten ihm nicht zur Verfügung gestanden, weil sich der ‚Bund für Gotterkenntnis‘ in seiner Amtszeit immer rechtskonform verhalten habe. In einem Interview in der Infobroschüre des ‚Kirchberger Bündnis‘ erklärt er: „Hinsichtlich etwaiger verfassungsfeindlicher Aktivitäten hat die Stadt Kirchberg ohnehin keine Zuständigkeit und schon gar keine Mittel zur Nachverfolgung.“ Seinem Unmut über die Berichterstattung machte er schließlich auch öffentlich und in einer Gemeinderatssitzung Luft. Ohr nahm Anstoß daran, dass der schon erwähnte Landwirt und Hauswart in der Berichterstattung des Hohenloher Tagblatt thematisiert wurde. „Ich verstehe nicht, warum die Zeitung diese Familie jetzt in der Art und Weise angeht“, sagte Ohr. Für Borchers hingegen war diese Reaktion des damaligen Bürgermeisters auf die Berichterstattung über den Hausmeister des Jugendheims „nicht angemessen und abwiegelnd“. Insbesondere, weil Ex-Bürgermeister Ohr sich zuvor durchaus kritisch über die Machenschaften der mutmaßlich rechtsextremen Gruppe geäußert habe und sogar die Gründungserklärung des ‚Kirchberger Bündnis‘ unterzeichnet hatte.
Die Journalisten ließen Ohrs Presseschelte nicht unkommentiert über sich ergehen. In einem Kommentar im Hohenloher Tagblatt schrieb Jens Sitarek: „Das Schlimmste, was man machen kann, ist Weggucken.“ Im Interview mit uns sagte Ohr, er würde seine Kritik an den Journalisten mit Blick auf deren Recherchemethoden jederzeit wiederholen. Dabei bezieht er sich wohl unter anderem darauf, dass die Journalisten das Jugendheim intensiv beobachtet hatten. Dazu sagte Ohr in der Gemeinderatssitzung: „Wer interessiert sich dafür, wer mit welcher Frisur, in welcher Kleidung und um wie viel Uhr aus dem Haus kommt?“ Den Otto Brenner Preis gönne er den drei Journalisten trotzdem.
Die Wichtigkeit der lokalen Berichterstattung
Eines ist klar: Ohne die Berichterstattung des preisgekrönten Journalistenteams gäbe es keinen Widerstand gegen die rechtsextremen Machenschaften im Hohenloher Land. Für Borchers gibt es eine nachvollziehbare kausale Reihenfolge für die Entstehung des ‚Kirchberger Bündnis‘. Es sei die nicht nachlassende Berichterstattung und die schwache Reaktion des Gemeinderats gewesen, die die Zivilgesellschaft aktiviert hätte. Und eine weitere Sache ist auch klar: Ohne die Lokalredaktion vom Hohenloher Tagblatt wäre das Journalistenteam nie in der Lage gewesen, eine derart intensive Recherche über einen so langen Zeitraum durchzuführen.
Das weitverbreitete Zeitungssterben, welches Borchers auch am eigenen Leibe spürt, steht einer solchen intensiven Recherche entgegen: „Als ich jung war, hatte jeder im Ort das Hohenloher Tagblatt abonniert, da ging der Austräger von Haus zu Haus. Heute kommt er bei mir mit dem Auto vorbeigefahren, schmeißt eine Zeitung rein und fährt weiter, weil es bestimmt 500 Meter keine weiteren Abonnenten mehr gibt.“ Borchers ist überzeugt, dass keine der nächstgelegenen überregionalen Zeitungen die gleiche Arbeit hätte leisten können. Allgemein stellt sich die Frage, wie in der Zukunft garantiert werden kann, dass die lokalen politischen Themen, wie der Rechtsruck vor Ort, nicht untergehen.
Die kontinuierlichen Recherchen des Journalistenteams sind weiterhin wichtig für den Widerstand der Gemeinde gegen die mutmaßlich rechtsextremen Besucher*innen. „Die journalistische Begleitung ist für uns von enormer Bedeutung“, betont Borchers. Sie erzeuge mehr Reichweite für die Aktivitäten des ‚Kirchberger Bündnis‘ und vor allem informiere sie die Menschen in der Region darüber, was in dem Jugendheim passiere.
Die preiswürdige Arbeit geht weiter
Die Südwest Presse, zu der das Hohenloher Tagblatt gehört, ehrte bei der Vergabe seines Medienpreises im Jahr 2024 das ‚Kirchberger Bündnis‘ für seinen Einsatz und seine Zivilcourage im Kampf für die Demokratie. Die Preisverleihung hatte eine hohe Medienresonanz und zog viel Aufmerksamkeit auf das Bündnis, wodurch es erneuten Zulauf bekam. Die Folgen dieses demokratischen Engagements und der Berichterstattung sind spürbar: Fast ein Jahr lang fanden keine Veranstaltungen in dem Jugendheim mehr statt. „Die mögen die Öffentlichkeit nicht“, vermutet Borchers. Er glaubt, dass der ‚Bund für Gotterkenntnis‘ ein Verbotsverfahren fürchte und deshalb sehr vorsichtig sei, um seine Außenwahrnehmung zu glätten.
In Zukunft wolle das ‚Kirchberger Bündnis‘ mithilfe von prominenten Vortragenden noch mehr Menschen erreichen. Beim Aktionstag im Mai war Herbert Prantl, Jurymitglied des Otto Brenner Preises, der Hauptredner. Im Herbst soll es außerdem noch einen Gesprächsabend zum Thema ‚Demokratie in Gefahr‘ geben. Denn trotz aller Erfolge sei man sich in Hohenlohe sicher, dass der ‚Bund für Gotterkenntnis‘ noch nicht zum letzten Mal zu Besuch war. „Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die wieder auftauchen“, sagt Borchers. Deswegen ist die Arbeit für das Journalistenteam vom Hohenloher Tagblatt und das ‚Kirchberger Bündnis‘ noch lange nicht vorbei.
Die Geschichte des ‚Kirchberger Bündnis‘ steht exemplarisch für die Relevanz und Wirkkraft kritischer lokaler Berichterstattung. Ohne die Enthüllungen der Otto-Brenner-Preisträger Zigan, Büchner und Sitarek würde es in Hohenlohe kein zivilgesellschaftliches Engagement in dieser Form geben.