Preisträgerinnen und Preisträger 2022
Preisträgerinnen und Preisträger 2021
Preisträgerinnen und Preisträger 2020

Otto Brenner Preis – 2. Preis

dotiert mit 5.000 Euro

Ulrike Brödermann

Michael Strompen

Den 2. Preis für kritischen Journalismus erhalten Ulrike Brödermann und Michael Strompen für„Der gläserne Deutsche – wie wir Bürger ausgespäht werden“(ZDF, 07.04.2009).

Jeder Verbraucher hinterlässt täglich zahlreiche Datenspuren durch Internet-Nutzung, Kunden- oder Paybackkarten. Die ZDF-Dokumentation zeigt, dass die Speicherung sensibler Daten von Bürgern schon fast zur  gängigen Praxis in Deutschland gehört. Der Film schildert anschaulich, was durch die Verknüpfung von Daten heutzutage bereits möglich ist.

00:00:00
00:00:00

Ulrike Brödermann

geboren 1966 in Hamburg

Werdegang:

  • Seit 2007 Dozentin, Media School,Hamburg
  • Seit 2005 Redakteurin und Autorin ZDF-Innenpolitik (Dokumentation),Mainz
  • Seit 1998 Reporterin ZDF-Landesstudio Brandenburg (u.a. Vertretungen in ZDF Studios Warschau und Brüssel)
  • 1997 Mitarbeit und Wahlbüroleitung für die OSZE, Bosnien-Herzegowina, Jablanica
  • Seit 1991 Mitarbeit für Perspektiven e. V. (NGO für Behinderte und Straßenkinder in Osteuropa)
  • 1989-1995 freie Mitarbeit für National Geographic
  • 1988-1996 Studium Slavistik, Osteuropastudien und Amerikanistik (FU Berlin und St. Petersburg), Magisterabschluss
  • 1985 Abitur in Hamburg

    Michael Strompen

    geboren 1980 in Münster

    Werdegang:

    • Seit 2006 ZDF-Innenpolitik (Dokumentation)
    • 2005-2006 freie Mitarbeit 3sat-Wissenschaftsmagazin nano
    • 2005 ZDF-Innenpolitik (blickpunkt, Sondersendungen)
    • 2003-2004 Volontärpraktikum ZDF in Mainz
    • 2001-2006 Studium Journalistik und Sport in Dortmund
    • 2000-2001 Zivildienst bei der Caritas in Kamp-Lintfort
    • 2000 Abitur in Rheinberg/NRW
    • 1998-2003 freie Mitarbeit und Praktika (bei RTL Nachtjournal, WDR2, sid, Rheinische Post)

    Veröffentlichung:

    • 2008 „Eine wahre Erfolgsstory? Zur Authentizität moderner TV-Dokumentationsformate“

    Auszeichnung:

    • 2003 LfM-Campus-Hörfunkpreis (Anerkennungspreis)

      Als ich die wunderbar aufrüttelnde Fernseh-Dokumentation von Ulrike Brödermann und Michael Stompen das erste Mal gesehen habe, ist mir ein Satz von Kafka in den Kopf geschossen. Kafka hat gesagt: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?“ Hätte Kafka schon Fernsehen gekannt, dann hätte er wohl gesagt: „Wenn das Fernsehen uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, warum schauen wir dann fern?“  Die meisten Leute schlafen ja beim Fernsehen gern ein, und die Fernsehmacher kommen ihnen bei diesem Wunsch sehr oft und sehr gern entgegen. Ich kenne mich da aus, denn ich gehöre zu den Leuten, von denen ich gerade rede.
      Bei dem Film von Ulrike Brödermann und Michael Stompen ist das ganz anders: Selten sitzt man so wach, so gepackt, so gefesselt, so irritiert und so empört vor dem Fernseher wie bei diesem Beitrag. Nie habe ich das nur vermeintlich trockene Thema Datenschutz so gut verfilmt gesehen. Die Dokumentation zeigt, wie Speicherung von sensiblen Daten von Bürginnen und Bürgern schon fast zur gängigen Praxis in Deutschland geworden ist. Dieser Film enthüllt, was durch die Verknüpfung von vermeintlich harmlosen Daten heute schon alles möglich ist: dieser Film setzt sich auf die Spuren, die jeder von uns im Internet sowie mit Kunden- und Payback-Karten hinterlässt. Er zeigt, was damit passiert, er zeigt, was schon jetzt alles möglich ist, wer meine, wer ihre Daten erfasst, sammelt, verkauft, auswertet. Für 200 Euro kann man bei professionellen Datenhändlern Informationen über einen ganzen Stadtteil kaufen. Die Bewohner wissen davon nichts. Aber der Datenkäufer weiß dann, wo ein „Linker“, wo ein „Kleinbürger“ und wo ein „Konservativer“ wohnt,  wo „Single-Frauen“ leben und ob sie für Werbung offen oder ob sie eher zugeknöpft sind.
      Brödermann und Stompen zeigen das alles so, dass nach dem Film keiner mehr sagt: Er habe ja nichts zu verbergen und also auch nichts zu befürchten. Nach einem so aufklärerisch gescheiten Film bleibt einem ein so törichter Satz im Hals stecken. Und die Frage, die einem nach diesem Film zu Recht umtreibt ist die: wie kann ich mich schützen, wie kann ich mich wehren, was kann ich tun, dass das nicht so weiter geht. Der Sozialwissenschaftler Andreij Holm, dessen Fall im Film dargestellt wird, hätte das gern schon früher gewusst: Er hatte über „Gentrifikation“, also über die Modernisierung und Yuppisierung von Wohngebieten geschrieben – das hatte ihn dem Bundeskriminalamt verdächtig gemacht. Beamte stürmten seine Wohnung. Später las er in den Akten, dass seine Telefonate, E-mails, Freunde, seine Reisen überwacht worden waren – unter anderem mit Hilfe der Bahn, die bereitwillig seine Reiseverbindungen an das BKA übermittelt hatte. Es kann jeden treffen, sagt der Film. Und das ist so.
      Das „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ ist 25 Jahre alt, aber von einer Selbstbestimmung der Bürger kann nicht die Rede sein; das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein schwer malträtiertes Grundrecht. Die Schwere und die Folgen dieser Verletzungen dokumentiert der ausgezeichnete ZDF-Film. Er informiert, er sensibilisiert, er rüttelt wach. Er macht klar, warum Datenschutz nichts Abstraktes ist, sondern erste Hilfe für die Bürgerrechte im digitalen Zeitalter.
      Der prämierte Film ist ein Aufklärungsfilm. Er ist, obwohl nicht aus diesem Anlas produziert, einer der besten Beiträge zum 60. Jubiläum des Grundgesetzes.