„Irgendwann verliert man das Gefühl für die Realität”
Interview mit Kim Lucia Ruoff und Valeria Bajaña Bilbao zur Langzeitrecherche Inside Tesla
Ein Praktikum der besonderen Art haben Kim Lucia Ruoff und Valeria Bajaña Bilbao beim stern absolviert. Getarnt als Arbeiterinnen, gingen die beiden regelmäßig zur Arbeit in die 2022 eröffnete Tesla-Fabrik in Grünheide in Brandenburg und berichteten aus nächster Nähe von den Zuständen in der Gigafactory von Tech-Milliardär Elon Musk. Über ihre Zeit beim Autohersteller berichten sie im
Interview von Hannah Simon und Amelie Gensel.
Hallo Kim und Valeria, ihr habt als Teil des stern/RTL-Teams den Otto Brenner Preis für eure Recherche zu Tesla erhalten. Wann seid ihr in das Projekt mit eingestiegen?
Valeria: Ich war seit Beginn meines Praktikums bei stern dabei. Damals hat sich in der Redaktion die Idee zur Tesla-Geschichte entwickelt und es war von Anfang an klar, dass die Recherche zum Teil undercover ablaufen soll. Ich und mein damaliger Mitpraktikant, Emin Aiche, konnten unser Praktikum verlängern, um das entstandene Projekt zu begleiten. Im Januar kam dann noch Kim dazu.
Wieso seid gerade ihr beiden ausgewählt worden, um in die Fabrik zu gehen?
Valeria: Ich habe mich auf die Stelle beworben, weil es darin um investigative Recherchen ging. Wir wurden nicht ausgewählt, weil wir Praktikantinnen waren, sondern weil wir selbst wollten, dass die Undercover-Erfahrung Teil unserer Ausbildung ist.
Kim: Wir haben auch länger überlegt, ob wir das überhaupt machen wollen. Anfangs haben wir viel über rechtliche Aspekte gesprochen, zum Beispiel darüber, was passiert, falls wir enttarnt werden. Als das geklärt war, waren wir sicher, dass wir uns die verdeckte Recherche zutrauen.
Wie sah der Bewerbungsprozess bei Tesla aus?
Kim: Das war im Rahmen einer Art Massenanstellung, die von einer Zeitarbeitsfirma abgewickelt wurde. Man hatte einen kurzen Termin, saß zu zehnt in einem Raum und bekam eine Sicherheitsunterweisung in Form eines Fragebogens. Außer mir sprach dort niemand Deutsch, was dazu geführt hat, dass die anderen Bewerber*innen ihre Antworten einfach mit Google Translate zusammengesucht haben.
Habt ihr dort auch eure persönlichen Daten preisgegeben?
Kim: Was den Lebenslauf angeht, durften wir natürlich nichts hinzudichten, aber wir konnten Dinge weglassen und andere Tätigkeiten wie Ferienjobs etwas aufblasen. So wirkte es, als wären wir wie geschaffen für die Arbeit in einer Automobilfirma. Außerdem haben wir beide Doppelnamen, wodurch wir unvollständige Namen in der Bewerbung angeben konnten.
Wie habt ihr euch journalistisch auf die Recherche vorbereitet?
Valeria: Es gab zum Beispiel ein Kameratraining und wir haben unser Vorhaben gesetzlich geprüft. Man kann ja nicht einfach mit einer Kamera ins Werk gehen, sondern muss sich vorher absichern. Wir hatten sogar jemanden aus dem Wallraff-Team, der uns beraten hat. Dadurch haben wir gelernt, was zu tun ist, wenn man auffliegt. Dass man zuerst die Polizei anrufen muss und dass uns keine Sachen abgenommen werden dürfen.
Wie habt ihr die Zeit als Tesla-Arbeiterinnen wahrgenommen?
Valeria: Arbeitsbeginn war immer um 6 Uhr morgens und davor mussten wir mit dem Team die Kameras fertig machen und eine dreiviertel Stunde zum Werk fahren.
Kim: Für uns war es eine sehr intensive Zeit, wir wussten ja nicht, wie lange wir dort arbeiten würden. Es war wie eine Art Parallelleben, von dem wir nicht mal unseren Familien erzählen durften. Wir haben in einem Ferienhaus gelebt und waren tagsüber nicht erreichbar.
Valeria: Irgendwann verliert man dabei auch das Gefühl für die Realität. Manchmal habe ich mich gefragt, was ich da überhaupt mit meinem Leben anstelle. Wir standen immer entweder in der Fabrik oder haben im Ferienhaus den Tag nachbereitet. Außerdem war das Produktionsteam ständig bei uns im Haus, wodurch wir kaum Freizeit oder Privatsphäre hatten.
Wie kamt ihr mit euren Kolleg*innen ins Gespräch, ohne aufzufallen?
Kim: Ich habe am Band gearbeitet und hatte immer zwei Personen neben mir. Die Maschine dort ist oft ausgefallen und während wir gewartet haben, kamen wir ins Gespräch. Dabei musste ich aufpassen, dass ich nicht zu auffällig nachfrage. Gleichzeitig musste ich auch die Technik berücksichtigen. Habe ich das auf Kamera? Ist der Ton gut genug? Und natürlich mussten wir auch unsere Arbeit in der Fabrik gut machen, denn als geschätzte Kollegin kann man mehr Fragen stellen.
Valeria: Ich habe sehr deutlich gespürt, unter welchem Druck die Leute dort arbeiten. Irgendwie war es aber auch schön, weil es trotzdem einen großen Zusammenhalt gab. Die Leute haben zusammen Musik gehört und man ist immer mehr zusammengewachsen. Das hat mich überrascht, weil ich mit Konkurrenzkämpfen gerechnet hatte, aber das Gegenteil war der Fall.
Mit welchen Hürden wart ihr während der Recherche konfrontiert?
Valeria: Es gab Momente, in denen wir mehr Informationen gebraucht hätten. Es gab zum Beispiel spezielle Tücher für die Autos, die auch öfter genutzt wurden, um sich die Hände zu reinigen. Später habe ich gelesen, dass diese Tücher eine Substanz enthalten, die nicht mit Haut in Berührung kommen sollte. Da hätte ich rückblickend gerne Proben mitgenommen.
Standet ihr mal kurz davor enttarnt zu werden?
Valeria: Ja, zu einem Zeitpunkt, dachte ich, ich fliege demnächst auf. Irgendwann kam jemand mit Fotos und hat nach bestimmten Personen gesucht. Ich habe einfach nur gezittert und schnell mein Handy geholt, um im Ernstfall wenigstens jemanden anrufen zu können.
Hattet ihr während der Arbeit die Möglichkeit, solche Momente zu besprechen?
Kim: Wie es uns ging, haben wir erst nach der Recherche aufgearbeitet. Ansonsten war für Reflexion zwischendurch keine Zeit. Wir hatten ja wahnsinnig viel Material, das durchgearbeitet werden musste.
Was würdet ihr im Nachhinein anders machen?
Kim: Ich würde einen ganz genauen Plan machen, um unser Material zu sichten. Nach dreieinhalb Wochen waren wir mit Aufnahmen zugeschüttet. Wir hätten da eine bessere Struktur finden können. Auch mehr Ruhe und Rückzugsorte im Haus wären gut gewesen.
Valeria: Ich hatte das Gefühl, dass der Druck aus der Fabrik irgendwann auch im privaten gelandet ist. Man konnte nicht mehr abschalten, sondern hatte auch zu Hause das Gefühl, ständig abliefern zu müssen. Ein nachträgliches Gespräch in der Redaktion zu dem Thema hat später sehr gutgetan. Trotzdem ist die Nachbereitung oft untergegangen, weil wir extrem schnell produzieren mussten.
Kim: Es gab auch Tage, da sind ganz banale Sachen schiefgelaufen. Da wurde morgens vergessen, den Akku zu wechseln. Als ich dann gecheckt habe, dass keine geladene Batterie in dem Aufnahmegerät ist, war ich richtig wütend. Wir waren einfach krass überarbeitet und sowas passiert natürlich einfach. Jeder arbeitet am Limit.
Gab es damals schon andere Recherchen zum Tesla-Werk in Grünheide, die eure Arbeit beeinflusst haben?
Kim: Das Thema lag natürlich in der Luft. Als das Werk eröffnet war, wurden die meisten Presseanfragen einfach nicht beantwortet. Es gab auch mal eine Zeit, da hat Tesla einfach nur mit Emojis geantwortet. Es gab aber schon Berichte zu Verstößen bei Tesla in den USA. Deshalb wussten wir, dass mehrere Medien zum Werk in Brandenburg recherchieren würden, und hatten Glück, dass wir unter den schnellsten waren.
Könnt ihr euch vorstellen, erneut für eine Geschichte Undercover zu gehen?
Kim: Es gibt nicht viele Recherchen, die das ermöglichen. Es müsste also etwas sein, bei dem man nur auf diesem Weg an Informationen kommt. Ich würde es nicht ausschließen, denn wir haben jetzt das Wissen und die Erfahrung, und es wäre schade, die nicht noch mal einzusetzen. Andererseits war es wahnsinnig anstrengend. Deshalb würde ich es nicht ausschließen, aber ich bin auch nicht heiß darauf, direkt eine neue Aktion zu starten.
Valeria: Ich würde es nicht noch mal machen. Undercover trägt man eine wahnsinnige Verantwortung für die Menschen, mit denen man währenddessen interagiert. Sie haben sich mir anvertraut, während ich eine andere Identität vorgegeben habe. Ich kann wahrscheinlich auch nie wieder Team Wallraff gucken, ohne darüber nachzudenken, was wir durchgemacht haben. Für die persönliche Erfahrung hat sich unsere Mühe gelohnt, aber jetzt würde ich andere Arten von investigativen Recherchen bevorzugen.
Hattet ihr die Chance, eure Kolleg*innen aus dem Werk nochmal zu kontaktieren?
Kim: Es gab eine Person, mit der ich mich sehr gut verstanden habe und die mir wahnsinnig viel erzählt hat. Ich hatte Bauchschmerzen, als ich dann gegangen bin, ohne der Person mitzuteilen, warum ich jetzt gehe. Die Person hatte sich aber nochmal bei mir gemeldet und wir treffen uns bald.
Gibt es gerade noch Themen zu dieser Tesla-Recherche, an denen das Team weiterarbeitet?
Kim: Ich bin mir sicher, dass Manka und Christian dranbleiben, weil das für sie ein Herzensthema ist und sie das auch davor schon gemacht haben. Und wenn sich mal was anbietet, dann würden wir natürlich auch was Neues dazu machen.