20 Jahre Otto Brenner Preis

Planvoll und trimedial

Werkstattbericht zur Langzeitrecherche Inside Tesla

Neun Monate lang haben Christian Esser, Manka Heise und Tina Kaiser mit ihrem Team RTL/stern Investigativ in und um die Tesla-Fabrik in Grünheide recherchiert. Es war eine höchst aufwendige Langzeitrecherche. Das Projekt war von Beginn an crossmedial angelegt: Die Rechercheergebnisse wurden als Artikel im stern-Magazin, auf der Website stern.de, als TV-Doku bei RTL sowie als fünfteiliger Podcast veröffentlicht. Die Beiträge deckten schwerwiegende Missstände bei Arbeits- und Umweltschutz in der ersten deutschen Tesla-Fabrik im brandenburgischen Grünheide auf. Wie sieht der journalistische Arbeitsprozess bei solch einer komplexen crossmedialen Investigativrecherche aus?

Von Michelle Thome

[Text als pdf-Download]

Die Eröffnung der ersten Tesla-Fabrik in Deutschland: Seit US-Milliardär Elon Musk dieses Vorhaben im November 2019 bei der Verleihung des Springer-Autopreises ‚Das goldene Lenkrad‘ erstmals ankündigte, sorgte es für Aufsehen – in der Wirtschaft, in der Politik sowie in der Medienbranche. Einer der reichsten Männer der Welt lässt in der brandenburgischen Provinz Grünheide – circa eine Autostunde außerhalb Berlins – das zu der Zeit meistverkaufte Elektroauto der Welt bauen.

Christian Esser und Manka Heise sind beide als Chefreporter*innen investigativ für den stern und RTL News tätig und haben auch in der Vergangenheit schon gemeinsam zu Tesla recherchiert und den Bau der Fabrik begleitet. Tina Kaiser – die dritte im Bunde – schreibt seit 2022 ebenfalls für den stern. Für Esser und Heise war eigenen Aussagen nach klar, dass sie auch die weiteren Entwicklungen rund um das Werk in Grünheide beobachten und journalistisch aufarbeiten würden. Der Fokus sollte dieses Mal auf den Arbeitsbedingungen im nun eröffneten Tesla-Werk liegen. Eine personelle Vergrößerung des stern Investigativ-Teams erlaubte es, die geplante Recherche crossmedial umzusetzen. Die Crossmedialität ermöglichte es, sich dem Thema intensiver zu widmen und den einzelnen Rechercheergebnissen im jeweils dazu passenden Medium mehr Raum zu geben.

Nach ersten Gesprächen mit Informant*innen, unter denen sich auch einige Arbeiter*innen aus Grünheide befanden, wurde dem stern Investigativ-Team eine Liste der Rettungswageneinsätze auf dem Fabrikgelände zugespielt. Diese Liste offenbarte laut Esser, dass „nahezu jeden Tag ein Unfall in der Fabrik passierte“ – der erste große Recherchedurchbruch. Nun galt es, den weiteren Verlauf der Recherche sowie die thematischen Schwerpunkte für die vier unterschiedlichen Medienformate zu planen: Im Artikel wollten sich die Autor*innen auf zwei Hauptfiguren konzentrieren, die beide aufgrund ihrer Kritik an Tesla „mundtot gemacht werden sollten“, so Esser. Die beiden Männer – ein ehemaliger Techniker in der Giga-Fabrik und ein Manager des lokalen Wasserverbands – dienten dazu, die Leser*innen dramaturgisch durch die Geschichte zu führen. Alle anderen Rechercheansätze – die Arbeitsunfälle auf dem Werksgelände, die Umwelthavarien und die Vertuschung der Missstände durch die Politik – sollten in die Erzählungen der beiden Protagonisten eingebaut werden. Ein Undercover-Einsatz zweier stern Investigativ-Praktikantinnen in der Giga-Fabrik stellte für Esser, Heise und Kaiser „ganz klar ein filmisches Instrument“ dar und sollte daher auch hauptsächlich in der TV-Dokumentation Platz finden. In einem fünfteiligen Podcast sollten die Hintergründe des Undercover-Einsatzes erläutert und weitere Blicke hinter die Kulissen der gesamten Recherche gewährt werden.

Ein strategisches Vorgehen ist das A und O

Eine solch aufwendige Recherche setzt eine klare Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung innerhalb des Journalist*innen-Teams voraus. Anschließend gilt es, Informant*innen zu finden und persönliche Gespräche zu führen. Vor den Interviews war es Esser, Heise und Kaiser wichtig, Hintergrundgespräche zu führen und abzuklären, unter welchen Bedingungen die Interviews geführt werden können, so die drei Journalist*innen. Grund für diese Absicherung ist, dass Informant*innen investigativer Recherchen unter Umständen mit beruflichen oder auch privaten Konsequenzen rechnen müssen, sollten sie durch ihr Aussehen oder einzelne Aussagen erkannt werden. Die Interviews selbst haben Esser, Heise und Kaiser eigenen Angaben nach kaum vorbereitet, um den Gesprächspartner*innen so viel Raum wie möglich für ihre eigenen Erfahrungen zu geben: „Wir sind so tief im Thema drin, dass unsere Konzentration ausschließlich den Protagonisten gilt.“

Der gesamte Rechercheprozess dauerte Esser zufolge rund neun Monate. Es wurde für alle Themenschwerpunkte parallel recherchiert – mit einer Ausnahme: An aktive Tesla-Mitarbeitende sind die drei Journalist*innen erst nach dem Undercover-Einsatz in der Fabrik herangetreten. So wurde sichergestellt, dass der Undercover-Einsatz nicht aufflog und die dabei eingesetzten Journalist*innen nicht gefährdet wurden.

Die große Herausforderung: Der Undercover-Einsatz im Tesla-Werk

Schon früh während der Rechercheplanung waren sich Esser, Heise und Kaiser einig, dass sich Leute aus dem stern Investigativ-Team in die Fabrik einschleusen sollten, um die Vorwürfe gegenüber Tesla erhärten zu können. Doch solche Undercover-Einsätze sind rechtlich nicht zweifelsfrei: Es müssen bereits konkrete Hinweise auf Missstände vorliegen. Diese juristische Anforderung war nach Aussage des Teams aber durch die übermittelte Rettungsdienstliste gegeben. Der nächste Schritt war also, zu klären, wer sich auf einen Job in der Giga-Factory in Grünheide bewerben kann. Schnell war für Esser, Heise und Kaiser klar, dass keine*r von ihnen dafür in Frage käme, da sie als etablierte Journalist*innen viel zu leicht im Internet gefunden werden könnten. Es gab jedoch zwei Praktikantinnen – Valeria Bajaña Bilbao und Kim Lucia Ruoff –, welche sich laut Esser perfekt für den Job eigneten (vgl. auch das Interview mit den beiden Jungreporterinnen).

Um die beiden so gut wie möglich auf den Einsatz vorzubereiten, fanden viele Gespräche statt. Besonders relevant hierbei waren die Fragen zur rechtlichen Absicherung und darüber, wie sie sich verhalten können, sollte ihr Einsatz zu früh enttarnt werden, wie Ruoff im Interview betont. Dazu wurden die beiden Journalist*innen von Redaktionsmitgliedern des investigativen RTL-Formats Team Wallraff beraten. Dieses Training war besonders wichtig, da sie sich zwar beide über eine Zeitarbeitsfirma mit ihren Zweitnamen beworben hatten, bei der Einstellung jedoch ihren Personalausweis vorzeigen mussten, was sie identifizierbar machte, so Ruoff. Zur Vorbereitung gehörte laut Bajaña Bilbao außerdem ein technisches Training, bei dem sie lernten, die versteckten Kameras richtig zu bedienen.

Zeitlich wurde der Undercover-Einsatz im Vorhinein nicht eingegrenzt, die beiden wussten also nicht, wie lange sie in der Tesla-Fabrik arbeiten werden. Am Ende waren Bajaña Bilbao circa zwei Wochen und Ruoff dreieinhalb Wochen lang als Undercover-Journalistinnen in Grünheide. Um sicherzustellen, dass ihr Einsatz auch wirklich geheim bleibt, durften sie vorher niemandem davon erzählen, waren von ihrem eigentlichen Privatleben komplett abgeschottet und für niemanden außer dem stern Investigativ-Team erreichbar, so Ruoff. Sie beschreibt es im Gespräch daher auch als „eine Art Parallelleben“. Um den Einsatz regelmäßig nachzubereiten und weitere Schritte zu planen, wurde ein Ferienhaus in Werksnähe angemietet, in dem die beiden ihre Ruhezeiten und Nächte verbrachten und in das auch das Produktionsteam, Techniker*innen und die Teamleitung einzogen.

Keine Investigativrecherche verläuft ganz ohne Hürden

Dass sich eine so vielschichtige Investigativrecherche reibungslos und ohne Hürden umsetzen lässt, ist sehr unwahrscheinlich. In Bezug auf die Crossmedialität stand das stern Investigativ-Team nach den Aussagen von Esser, Heise und Kaiser vor allem vor der Frage, welche Beiträge wann veröffentlicht werden. Die Reihenfolge der Veröffentlichungen war relevant, da die erzählten Geschichten thematisch aufeinander aufbauen sollten. So ein Veröffentlichungsprozess müsse zentral gesteuert werden, damit er geregelt ablaufen könne, so Esser. Auch eine „umfangreiche Crosspromo“ auf allen RTL-, stern- und ntv-Kanälen gehörte laut Esser zu diesem Prozess dazu, um auch auf alle vier Formate aufmerksam zu machen.

Eine Recherche wie Inside Tesla lebt davon, dass es Informant*innen gibt, die mit den Journalist*innen sprechen – ohne sie ließe sich solch ein Projekt kaum realisieren. Es passiert durchaus, dass Gesprächspartner*innen oder Protagonist*innen auch nach einer Zusage noch abspringen und sich nicht trauen, sich zu äußern, wie auch Esser einräumt. In solchen Situationen seien viel Kommunikation und Empathie gefragt, um Vertrauen aufzubauen und dem Gegenüber klarzumachen, dass man als Journalist*in vertrauenswürdig ist und alles dafür tut, die Sicherheit und – falls gewünscht – die Anonymität des Gegenübers zu wahren.

Eine weitere Herausforderung während des Rechercheprozesses war die Kommunikation zwischen den Team-Mitgliedern. Um sicherzustellen, dass alle Beteiligten von stern Investigativ auf dem gleichen Informationsstand sind, wurde natürlich „über einen sicheren Messenger kommuniziert“, so Esser.

Speziell auf den beiden Undercover-Journalistinnen Bajaña Bilbao und Ruoff lastete ein enormer Arbeitsdruck, welcher zu Zeitmangel führte, wie die beiden im Interview betonen. Die größte Herausforderung war es laut Bajaña Bilbao daher, mit anderen Arbeiter*innen zu sprechen und weiterführende Informationen in der Fabrik zu sammeln. Dadurch, dass sie auch in dem Ferienhaus nie allein waren und die während ihrer Arbeit gesammelten Informationen ständig nachbereiten mussten, gab es Ruoffs Aussagen nach kaum Raum und Zeit für persönliche Reflexion und für eine Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen.

Vor allem, wenn bei einer Recherche unterschiedliche Themenschwerpunkte gesetzt werden sollen, biete es sich an, sie crossmedial zu planen und umzusetzen. Ein klarer Vorteil der Crossmedialität bestehe darin, dass dadurch sehr viele Menschen erreicht würden, denn „die unterschiedlichen Medien werden von unterschiedlichen Zielgruppen konsumiert“, so Esser. Mehr Aufmerksamkeit führt ihm zufolge außerdem zu einem größeren Druck auf die Politik, auf die Enthüllungen zu reagieren. Die Veröffentlichung von Inside Tesla hatte Sondersitzungen im Landtag von Brandenburg zur Folge. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), ein Befürworter der Tesla-Fabrik, wurde in diversen Interviews mit den Enthüllungen konfrontiert und musste sich unbequemen Fragen stellen.

Zurück zur Übersicht zum Dossier

Übersicht zum Dossier 20 Jahre Otto Brenner Preis

Aktuelles